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DER
ENGEL
DER BARMHERZIGKEIT
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"...
Wie in David Lynchs spektakulärem Psycho-Krimi "Twin Peaks"
läßt Übersinnliches die Kleinstadt zum Alptraum
werden, reißen Abgründe unter der zähen Langeweile
auf, werden die Dämonen lebendig, die in jedem von uns lauern."
Dieser Klappentext, vor allem der Bezug auf "Twin Peaks",
also die Mystery-Kultserie schlechthin, hat mich neugierig gemacht
und wenn sich jemand traut, so frech einen Vergleich zu ziehen,
muss ich das natürlich genauer angehen. Doch leider fängt
das Verhängnis bereits mit dem Namen des verlorenen Städtchens
Tuckaroo an: obgleich es viele Hinweise gibt, wo diese Stadt liegen
soll, konnte ich sie auf keiner Karte finden. Mit den Daten, die
man im Buch findet, gelangt man nach Massachusetts (Hampshire County),
Connecticut River. Hier irgendwo befindet sich der Mount Warner
und damit der Ort des Geschehens. Natürlich ist es denkbar,
dass der Name fiktiv ist, doch Twin Peaks (Idaho) lässt sich
beispielsweise recht einfach finden. (Auch wenn dort niemals gedreht
wurde, sondern in Snoqualmie, welches in diesem Fall ebenfalls nahe
der kanadischen Grenze liegt. Eine Prise Realität bei all der
Fiktion ist einfach prickelnd.)
Der Vergleich mit "Twin Peaks" ist aus verschiedenen Gründen
gewagt, auch wenn er nicht völlig von der Hand zu weisen ist,
da sich diverse Elemente ähneln. Die Geschichte baut stetig
Spannung auf und kann diese, mit Unterbrechungen, auch halten. Leider
gelingt es Dionnet nicht, einen wirklich schlüssigen Plot zu
präsentieren. Einige Teile der Story wirken aufgesetzt, so
als ob man besonders bemüht gewesen wäre, den Leser absichtlich,
oder sollte ich besser sagen: offensichtlich, zu verwirren. Das
Artwork ist im ganzen recht gelungen. Die Gesichter Theureaus erinnern
ein wenig an Bilal, was auch mit den Farben zu tun hat - Galton
selbst könnte fast als "Spirit" durchgehen. (Die
Leonard-Nimoy-Gedächtnis-Augenbraue ist übrigens nur auf
dem Cover zu finden.) Kräftige Linien und Furchen lassen besonders
die Gesichter härter, mitunter verhärmter aussehen, auch
wenn Mervins Gesicht oft einer Maske gleicht. Die gelungende Vermittlung
des verwaisten, öden, amerikanischen Flairs, die großflächigen
Bilder zu Beginn der Kapitel, die strenge neun-Bilder-pro-Seite
Einteilung und auch die vielen Wechsel der Perspektive, verlangen
Respekt. Vermutlich hätte es der Grundidee gut getan, die Geschichte
auf zwei oder sogar drei Bände anzulegen. Damit hätten
die beiden mehr Zeit und Raum gehabt, raffiniertere Finten auszuarbeiten
und Personen und Details besser einzuführen, um die abrupten
Sprünge zu vermeiden. Aber vielleicht versteckt sich ja darin
die Paralelle zu "Twin Peaks" ...
Tipp: In tiefer Nacht, Past Lies, Hellblazer, Tödliches
Wiegenlied
Linktipp: www.twinpeaks.de |
Der
Engel der Barmherzigkeit
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Text:
Jean-Pierre Dionnet
Zeichnungen: Laurent Theureau
Verlag: Carlsen
Verlag Gmbh, Hamburg (1994)
Copyright: "L´ange de misericorde",
© Casterman,
Tournai, 1993
Ausstattung: SC (29,5 x 21,5 cm), 102 Seiten, farbig
ISBN: 3-551-72478-4 |
Tuckaroo, ein verschlafenes Nest unweit der kanadischen Grenze:
ausgerechnet hierher verschlägt es den Modeschmuckverkäufer
John Galton. Ein Städter wie er zieht natürlich die
neugierigen Blicke der Bewohner auf sich, so auch die des Sheriffs
von Tuckaroo: Sheriff Mervin. Sie ist es auch, die John auf
eine besonders intime Art und Weise willkommen heisst. Durch
Jersey, Tuckaroos Lokalpatriot, Fremdenführer und "Taxifahrer",
macht er so manche Bekannschaft: die des Barkeepers Tod, Lorraine
Crow und die des jungen Russen Ivan, dessen Gemeinde abgeschieden
und misstrauisch beobachtet von den Bewohnern Tuckaroos tief
in den Wäldern lebt. Johns Aufgabe und die Hintergründe
seiner Reise bleiben vorerst im Dunkeln. Als er Paula Weston
auf Anraten seines Vaters besucht, ist er sicher, seine Mutter
gefunden zu haben. Sie verspricht, ihn mit den Damen der Stadt
bekannt zu machen, um seine Geschäfte aufzunehmen. Nach
seiner Rückkehr ins Hotel erhält er eine eigenartige
Botschaft, welche ihn zu einem abgelegenen Caravan führt.
Der Mann dort bezichtigt ihn des Mordes an seiner Frau und fordert
ihn auf, zu erklären, was damals geschehen war, doch John
streitet alles ab. Seine Affäre mit Sheriff Mervin dauert
an, aber der Mord an einem Unbekannten in einem Caravan, sowie
eine weitere Tote, nehmen sie völlig in Anspruch ...
John lernt noch weitere Personen kennen: Arthur Harrison, einen
Schriftsteller, und eine junge Frau, die ihn sofort fasziniert
und ihn bei ihrer ersten Begegnung niederschlägt. Sie lebt
allein in den Wäldern und verständigt sich nur mit
Tieren. Kann sie gefährlich werden? Sie und alle anderen
finden Eingang in Johns Tagebuch, welches so manche Überraschung
bereit hält - John "hilft" seinen armseligen
Opfern, das wahre Leben zu kosten, in dem Augenblick, in welchem
er ihr unbedeutendes Dasein grausam auslöscht. Sheriff
Mervin muss erkennen, dass sie trotz ihrer Umsicht nicht alles
im Griff hat. Denn auch als der barmherzige Todesengel John
Galton tot unter Schnee und Eis verschwindet, reisst die bestialische
Mordserie nicht ab. Nun stellt sich die Frage: können Tote
weiter morden?
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